1. Tschechoslowakische Republik
Der konfliktträchtige Beginn der 1. Tschechoslowakischen Republik
„Die große Heimat ist in viele kleine Heimaten zerfallen!“
Ilse Tielsch: Die Ahnen-Pyramide
Noch während des Ersten Weltkrieges hatten tschechische Emigranten unter Führung von Edvard Beneš und Tomáš G. Masaryk im westlichen Exil auf die Errichtung eines tschechoslowakischen Nationalstaates hingearbeitet. Dabei bestanden sie auf den historischen Grenzen Böhmens, Mährens und Östereichisch- Schlesiens ohne Rücksicht auf die in diesen Ländern lebenden anderen Nationalitäten.
Nach der Kapitulation Österreich-Ungarns 1918 berief sich der deutsche Bevölkerungsteil Südmährens im Vertrauen auf das vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson als Basis für eine Nachkriegsordnung proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker und reichte ihre Forderungen zur Friedenskonferenz der Alliierten in St. Germain 1919 ein. Die vorwiegend von deutscher Bevölkerung bewohnten Regionen sollten Österreich zugedacht werden. Doch die Alliierten folgten den tschechischen Forderungen. Im neuen Staat war jetzt die deutsche Bevölkerung zur Minderheit geworden und musste entsprechend kämpfen, um gehört zu werden.
Der Nationalsozialismus kommt nach Südmähren
Auf die Annexion Österreichs im März 1938 folgte der internationale politische Konflikt, der am 29. September mit dem „Münchner Abkommen“ endete: einem Vertrag zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien und dem Deutschen Reich, den jetzt Sudetenland genannten Teil der Tschechoslowakischen Republik an das Deutsche Reich abzutreten. Hitler hatte mit dem Argument des Selbstbestimmungsrechts der Völker und unter Kriegsandrohung gegen die Tschechoslowakei die eigentlich mit Prag verbündeten Alliierten zum Stillhalten bei der militärischen Besetzung gebracht. Die jetzt sudetendeutschen Gebiete genannten Teile der tschechoslowakische Republik machten fast ein Drittel seiner besten Fläche, drei Viertel seiner Industrie und seines Kohlevorkommens und 40 % des Nationaleinkommens aus. Die meisten „Sudetendeutschen“ begrüßten die neuen Machthaber, die sie auf ihrer Seite wussten. Die Gegner, Kommunisten und Sozialdemokraten, mussten wie die jüdischen Bürger flüchten oder wurden von der Gestapo verhaftet. Die Synagoge in Znaim/Znojmo ging gleich im Novemberpogrom 1938 in Flammen auf. Nach der sogenannten Angliederung der Rest-Tschechei 1939 begann eine Zeit des Grauens für den tschechischen Bevölkerungsteil. Die tatsächliche Entwicklung öffnete vielen die Augen, als die gesellschaftliche, kulturelle und politische Entwicklung „gleichgeschaltet“ wurde, entscheidende Positionen mit „Reichsdeutschen“ besetzt wurden und führende Persönlichkeiten der Parteien im Gefängnis oder im KZ landeten.
Der Zwist um Südmähren im Rahmen der Neuordnung Europas 1918/19
Noch vor Kriegsende hatte die „provisorische tschecho-slowakische Regierung“ am 18. Oktober 1918 in Paris die Unabhängigkeit der künftigen „Tschecho-Slowakischen Republik“ ausgerufen. Am 21. Oktober beanspruchte eine „Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich“ die Gebietsgewalt über „das ganze deutsche Siedlungsgebiet, auch in den Sudetenländern“. Schon im November und Dezember 1918 okkupierte tschechisches Militär mit Waffengewalt die deutsch bewohnten Gebiete Böhmens, Mährens und Östereichisch-Schlesiens. Es gab die ersten Toten und die Vertreibung politischer Repräsentanten.
Details der Friedensverhandlungen in St. Germain 1919
Bei den Friedensverhandlungen bestand die tschechische Seite auf den ehemaligen historischen Grenzen Böhmens und Mährens und beanspruchte zusätzlich niederösterreichische Gebiete. Während die tschechischen Vertreter offiziell zu den Verhandlungen zugelassen waren, wurde den österreichischen Delegationen die Teilnahme verboten. Ungeachtet der proklamierten Vision vom Selbstbestimmungsrecht der Völker (US-Präsident Wilson) wurden die Forderungen Tschechoslowakiens weitgehend erfüllt.
Die „Rest-Tschechei“ wird vom Deutschen Reich annektiert
Im Juli 1938 forderte auch die Slowakei Autonomie. Diese war ihr eigentlich bereits 1917 zugesagt worden, aber bislang nicht realisiert. Die Slowakei spaltete sich ab. Am 15. März 1939 besetzte die Wehrmacht die „Rest-Tschechei“. Jetzt galten die Regeln Nazi-Deutschlands. Der tschechische Bevölkerungsteil wurde anhand eigentümlicher Kriterien eingeteilt in „eindeutschungsfähig“ und „nicht-eindeutschungsfähig“ – viele wurden zwangsumgesiedelt oder zur Zwangsarbeit ins „Reich“ transportiert.
Die Sudetendeutsche Partei – Wahlsieger der 1930er Jahre
Der erfolglose Kampf um Gleichstellung, die hohe Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not brachten eine neue politische Partei nach oben: die Sudetendeutsche Heimatfront, später Sudetendeutsche Partei genannt. Nachdem in Deutschland 1933 die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, schaffte es in der Tschechoslowakei Konrad Henlein 1935 das deutschsprachige Politspektrum in der rechtsgerichteten Sudetendeutschen Partei zu vereinen. Die SdP wurde sogar die stärkste Partei im tschechoslowakischen Parlament und stellte 44 von 300 Abgeordneten. Wahlkampfgelder dafür waren aus Deutschland geflossen. Ihr Ziel war eine Autonomie der von Deutschen bewohnten Regionen.
Tschechisierung
Die neue Politik in Prag zielte auf eine Tschechisierung der deutschen, polnischen, kroatischen, ruthenischen und ungarischen Minderheiten obwohl § 134 der Verfassung der ČSR „jegliche Art gewaltsamer Entnationalisierung“ untersagte. Deutsche Schulen wurden geschlossen, für den öffentlichen Dienst, auch bei Post und Bahn, wurden Sprachprüfungen auf hohem Niveau eingeführt. Deutschstämmige Angestellte im öffentlichen Dienst, die nicht entlassen werden konnten, wurden in tschechische Gebiete versetzt, ihr alter Arbeitsplatz mit Tschechen besetzt.
Der tschechische Minister Rudolf Bechyne erklärte: „In zwanzig, dreißig Jahren müssen die von Deutschen bewohnten Gebiete so von Tschechen durchsetzt sein, dass man dann nicht mehr von einem geschlossenen deutschen Sprachraum reden kann“. Die Gewerbepolitik zielte nicht zuletzt deshalb klar auf die bevorzugte Förderung von Betrieben mit tschechischer Arbeiterschaft. Das führte zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit in der Region Südmähren/Südböhmen.
Der Streit beginnt
Die Tschechisierungpolitik kam aus Sicht des deutschen Bevölkerungsteils einer Unterdrückung gleich. Die Arbeitslosigkeit stieg, Tschechen wurden bevorzugt. Deutschsprachig zu sein wurde auf nationalistische Weise abgewertet. Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus im Deutschen Reich erstarkte auch die rechtsgerichtete Sudetendeutsche Partei (SdP) in der CSR. Unter der Führung von Konrad Henlein wurde die SdP bei den Wahlen von 1935 mit 44 von 300 Sitzen sogar die stärkste Partei überhaupt im parteienzersplitterten tschechischen Parlament. 1938 im März besetzte Nazi-Deutschland zunächst Österreich und rief einen internationalen Konflikt um die Deutschen in Tschechien herauf, der am 29. September mit dem "Münchner Abkommen" endete. Die deutschen Gebiete wurden Teil des Deutschen Reichs.