Brüche
Die Vertreibung in Zahlen
In der Region Südmähren, von der hier berichtet wird, lebten 1910 laut Statisktik 213.328 Menschen. Sieben Achtel davon bezeichneten sich damals als Bürger mit deutscher Muttersprache. Durch die Tschechisierungpolitik mit Förderung von Industrieansiedlungen seit 1918 reduzierte sich dieses Verhältnis bis 1930 auf nur noch die doppelte Zahl deutscher gegenüber tschechischen Bürgern. Alle Deutschen wurden 1945 entrechtet, gedemütigt, enteignet und vertrieben. Insgesamt wurden aus der Tschechoslowakei 2,5 Millionen Menschen vertrieben, über 10 % davon starben – 160.000 noch vor Ort, 90.000 in Lagern, 30.000 durch Gewaltakte auch der Sowjets, 11.000 durch Selbstmord aus Verzweiflung und 8.000 bei der Zwangsarbeit in der Sowjetunion – die zur deutschen Wehrmacht eingezogenen und Gefallenen nicht mitgerechnet.
Die Jahre 1944 und 1945
„Ich verlasse meine Heimat nicht!“
„Die furchtbaren Schreie dieser Frauen, die man bis in den Keller hinunter hörte“
Ilse Tielsch: Die Ahnen-Pyramide
Es begann mit dem Heranrücken der Roten Armee. In der zweiten Jahreshälfte 1944 fielen Bomben auf Wien, auf das Erdölgebiet um Zistersdorf und auf Lundenburg. Teile der deutschen Zivilbevölkerung wurden evakuiert, doch kehrten viele nach Tagen und Wochen wieder zurück. Dies waren wohlgemerkt Frauen, Kinder und alte Männer.
Im Vakuum nach Kriegsende entstanden allerorts tschechoslowakische Milizen und gingen bewaffnet gegen die „Deutschen/N?mec“ vor. Außerordentliche Volksgerichte erhielten die Befugnis, kurzfristig Todesurteile zu verhängen. Das Land sollte von Deutschen gesäubert werden. Plünderungen, Vergewaltigungen, Morde – bereits im Mai und Juni 1945 wurden in großer Zahl „deutsche“ Häuser und Höfe von „Neusiedlern“ besetzt. Die ehemaligen Besitzer wurden zusammengepfercht und zur Knechtarbeit gezwungen.
Seit 21. Juni 1945 galten alle Deutschen als entschädigungslos enteignet. Erst am 2. August 1945 segneten die Alliierten mit dem Potsdamer Abkommen die Zwangsumsiedlungen ab, faktisch waren sie längst im Gange. Es wurden massenweise „Deutsche“ über die Grenze im wörtlichen Sinne: getrieben. Die wenigen, die bleiben konnten, weil sie zunächst gebraucht wurden, mussten eine Armbinde mit aufgesticktem „N“ für N?mec/Deutsch tragen.
Der Brünner Todesmarsch
Am 31. Mai 1945 wurde die deutsche Bevölkerung in Brünn/Brno im Garten des Augustinerklosters zusammen getrieben. Es waren 27.000 Personen, meist Frauen, Kinder und Alte, ziemlich genau die Hälfte der Deutschen, die damals überhaupt in Brünn/Brno lebten. Am nächsten Tag trieben die Arbeiter der Brünner Waffenwerke, die noch bis wenige Tage vor Einmarsch der Roten Armee Waffen und anderes Ausrüstungsmaterial an die deutsche Wehrmacht lieferten, sie allesamt quer durch Südmähren in Richtung österreichische Grenze. Viele überlebten diese Misshandlungen und Entbehrungen nicht. 890 von ihnen liegen in einem Massengrab bei Pohrlitz/Pohořelice begraben, dort waren sie in Getreidelagern eingesperrt, bis Österreich die Aufnahme ermöglichte. Typhus brach aus, viele erlagen daran und an den Misshandlungen und Strapazen. Nach heutigem Forschungsstand wird von 5200 Todesopfern ausgegangen.
Entrechtung, Enteignung, Vertreibung
Schon im Mai und Juni 1945 wurden in großem Umfang die deutschen Häuser und Höfe von Tschechen in Besitz genommen. Die bisherigen Eigentümer sperrten viele in kleinen Kammern ein und zwangen sie zu Knechtarbeit. Am 30. Mai 1945 begannen die „wilden Vertreibungen“ im Kreis Neubistritz. Zwei Tage später war der ganze Kreis von Deutschen „gesäubert“.
Durch das Präsidialdekret vom 21. Juni 1945 waren alle Deutschen entschädigungslos enteignet. Die verbliebenen deutschen Bewohner Südmährens mussten weiße Armbinden mit einem „N“ für Němec/Deutsche tragen und waren praktisch rechtlos und vogelfrei. Es kam zu Plünderungen, Vergewaltigungen, Körperverletzungen und Morden. Am 8. Mai 1946 erließ das tschechoslowakische Parlament ein – bis heute gültiges – Gesetz, mit dem alle in der Zeit vom 30. September bis 28. Oktober verübten strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit „der Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken“ verübten, sonst strafbaren Handlungen, straffrei bleiben.
Geschehnisse in Znaim – bislang Zentrum des Weinbaus und des Kommerzes
Von den gezählten 8.347 deutschen Bürgern waren am 12. Juni 1945 nur noch etwa 1.300 in der Stadt. Alle Ärzte, Fabrikanten, Bankdirektoren wurden wie Verbrecher zusammengetrieben. Das örtliche Arbeitshaus und die Gefängnisse wurden überfüllt mit „Němec/Deutschen“, die schwer misshandelt, schlecht ernährt und dazu noch zur Zwangsarbeit, etwa beim Aufräumen des kriegszerstörten Bahnhofes, herangezogen wurden. In Znaim war ein Barackenlager gebaut worden, von dem aus sie 1946 zusammen mit 12.000 anderen als „Němec“ in 40 offenen Güterwaggons nach Deutschland abgeschoben wurden. Andere kamen in das KZ Mährisch-Kromau, wurden dort misshandelt und zur Schwerarbeit gezwungen.
Stigmatisierung und Entrechtung
Wer zurückblieb, wer noch Arbeit hatte, und über 14 Jahre alt war, musste weiße Armbinden mit eine aufgenähten "N" für Nemec/Deutscher tragen und war faktisch vogelfrei und ohne Rechte. Sie durften keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, keine Konzerte oder Kulturveranstaltungen besuchen, Kinder nicht in die Schule schicken und keine Beschwerden auf Behörden vorbringen.